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Der risikolose Zins – ein Paradoxon

Sie wissen natürlich was ein Paradoxon ist. Sie haben damals in Mathe und Philo aufgepasst und wissen, dass es sich um einen unauflöslichen Widerspruch handelt. Soweit so gut. Später wurden uns in Lehranstalten – Schwerpunkt Wirtschaftswissenschaften – zahlreiche Kapitalmarkttheorien eingepaukt, die einen risikolosen Zins enthalten. Theoretisch. Nach diesen Modellen werden weltweit Unsummen gemanagt in der festen Annahme, es gäbe einen Zins ohne Risiko. Und genau hier liegt das Paradoxon.

Gäbe es kein Risiko, stellt sich die Frage, warum dann ein Zins erhoben werden sollte. Zugegeben, eine zunächst vereinfachte Sicht der Dinge, ebenso vereinfacht wie die Annahme eines risikolosen Zinses im Formelwerk der Kapitalmarkttheoretiker. Für die Beweisführung genügt ein Blick in die Vergangenheit, um festzustellen, dass keine einzige Geldanlage jedes Krisenszenario unbeschadet überlebt hat – sei es die Hyperinflation nach dem ersten Weltkrieg, die Währungsreform nach dem zweiten Weltkrieg oder das Goldverbot in den dreißiger Jahren. Auch damals ist man von einem bestimmten Risikoverständnis und in der Folge von einer Risikogewichtung ausgegangen, die sich im Nachhinein als unbrauchbar erwiesen hat.

Vom risikolosen Zins kann also keine Rede sein, streng genommen gab es nie einen. Leider wird dieses in der Wissenschaft nur langsam begriffen und folglich in der Finanzwirtschaft noch langsamer umgesetzt. Anleger, egal ob privat oder institutionell, suchen heute mehr denn je den sicheren Hafen, unabhängig davon, dass dieser gegebenenfalls im sagenumwobenen Atlantis liegen könnte. Oder wie erklären Sie sich den massiven und leider oft kritiklosen Mittelzufluss in scheinbar sichere Geldanlagen wie Sparbücher, Geldmarktkonten oder Staatsanleihen, die einen scheinbar risikolosen Zins bieten und hinter denen oft Emittenten (Schuldner) stecken, die gerade mit massivem Steuermitteleinsatz am Leben erhalten werden oder selbst für den Ausfall anderer bürgen müssen?

Wenn man eines aus der Finanzkrise ziehen kann, dann die Erkenntnis und leider auch die bitter bezahlte Erfahrung, dass es ausnahmslos keine risikolose Anlage gibt und schon gar nicht einen Zins ohne Risiko. Es kommt vielmehr darauf an, eine Geldanlage vor dem Hintergrund des aktuell herrschenden wirtschaftlichen und politischen Umfeldes nach dem Risikopotential zu untersuchen. Und so kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass sowohl Berater als auch Kunde sich entscheiden müssen, welche konkreten Risiken sich auf die Geldanlage aktuell auswirken könnten und welche Aufmerksamkeit man diesen Risiken bei der Anlageentscheidung beimessen möchte. Wichtig dabei ist, diesen Prozess laufend zu aktualisieren und wahrscheinliche Risikoszenarien mit dem „gefühlten“ Risikoempfinden des Kunden abzugleichen.

Aktuell kann man das viel diskutierte Inflationsrisiko in der Beratung thematisieren und prüfen, in wie weit der Kunde dieses im Anlageprozess berücksichtigen möchte, unabhängig davon, dass man zu Inflationsprognosen konträrer Meinung sein kann. Nähme man einen enormen Preisanstieg als ein wahrscheinliches Szenario an, wäre die Frage gestattet, warum man gerade in Anlagen mit vermeintlich risikolosem Zins investiert ist.

Fazit: Sollte Ihnen wieder einmal ein risikoloser Zins begegnen, so untersuchen Sie diesen anhand möglicher Risikoszenarien (z.B. Inflation, Staatspleite, Währungsreform etc.) und schauen, was von der vermeintlichen Sicherheit übrig bleibt. Des Weiteren kann man einfach akzeptieren, dass es immer unkalkulierbare Risiken im Geldanlagegeschäft geben wird und man diese nicht eliminieren kann. So hat auch ein mit dem Nobelpreis geehrter Wirtschaftwissenschaftler und Kapitalmarkttheoretiker (s)einen pragmatischen Weg gefunden (abseits der eigenen Theorie): auf die Frage, wie denn der private Harry Markowitz sein Geld anlegen würde, antwortete dieser nur: „50% Aktien und 50% Anleihen“. So einfach kann es gehen. Paradox, oder?

Vladimir Skendzic, Investment Manager, Skandia

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